Traumabewältigung für geflüchtete Kinder und Jugendliche
„Ich will nicht vergessen“
Heimat erleben. Erinnerungen bewahren. Endlich wagen, an Morgen zu denken: Die BayWa Stiftung unterstützt mit dem Projekt Farba der Johanniter aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche. Denn der Angriffskrieg gegen die Ukraine ist nicht vorbei. Bei einem Besuch im Ortsverband der Johanniter Unfall Hilfe in Ingolstadt traf unser Team junge Menschen mit Schicksalen, die dank Ihrer Hilfe neu anfangen können.
Ihren Vater sieht Lisa seit ihrer Flucht selten
Im 23. Stock über dem ukrainischen Odessa ist Lisas Vater den Wolken so nah, dass er die Raketen auf seine Heimat fallen sieht. Jeden Abend in seiner dunklen Wohnung – der Strom ist schon vor Monaten ausgefallen – kann er nur hoffen, dass die nächste Bombe nicht ihn selbst trifft. Ihren Vater sieht Lisa seit ihrer Flucht nach Deutschland vor fast zwei Jahren nur selten, begibt sie sich doch bei jedem Treffen in ihrer Geburtsstadt in Lebensgefahr. Über 1700 Kilometer trennen nun die 12-jährige und ihren „батько“, ukrainisch für „Papa“. Nicht nur die Kilometer liegen zwischen den beiden, sondern auch die Grenzen von Frieden und Krieg.
Lisa hat Unaussprechliches erlebt...
... und dennoch möchte sie darüber sprechen. „Um zu lernen, damit umzugehen“, wie sie sagt. Dafür bietet das Hilfsprojekt Farba geflüchteten und traumatisierten Kindern und Jugendlichen einen geschützten Raum, so auch im Ortsverband Ingolstadt. Seit 1. Juli 2023 unterstützt die BayWa Stiftung das Projekt, seit 1. Juli als alleiniger Förderer. Seitdem hat sich vieles getan. „Das Projekt ist weiter auf Spenden angewiesen. Jeder Euro kann einem Kind den Weg in ein normales Leben ermöglichen“, sagt Ellie Zips-Pape, Geschäftsführerin der Stiftung.
Immer mehr Kinder brauchen Hilfe bei der Traumabewältigung
In insgesamt sechs Landkreisen in Bayern haben die Johanniter ihr Projekt aufgebaut, der Bedarf steigt allerdings weiter. Allein in Ingolstadt gehören 200 Kinder zum festen Kreis derer, die regelmäßig zu den Treffen kommen. Viele von ihnen erreichten mit ihren Familien Deutschland im März 2022, sagt Johannes Eibel, Projektleiter Integration und Flüchtlingshilfe der Johanniter in Oberbayern. Manche ihrer Heimaten, besonders im Süden der Ukraine, sind gänzlich zerstört, an eine Heimkehr ist nicht zu denken. Im Juli 2022 organisierten Eibel und sein Team die erste Gruppenstunde für Kinder. „Besonders junge Menschen benötigen unsere Hilfe, um geschützt Heimat zu erleben und dennoch weiterzugehen“, so Eibel. Dafür arbeitet das Team Farba eng mit den lokalen ehrenamtlichen Unterstützerkreisen und den Beratungsstellen zusammen. Der kurze Weg zu Psychologen und dem Klinikum seien besonders wichtig. Im Laufe der Zeit hat sich das Angebot weiterentwickelt: Gemeinsame Exkursionen, Filmabende oder Werkführungen zählen auch zum Programm für die Kinder und Jugendlichen.
Einer von ihnen heißt Vova...
... vor fast zwei Jahren kam der Junge nach Ingolstadt, nun ist er elf Jahre alt. Seine ersten Eindrücke in Deutschland – „Ich war so beeindruckt von den ganzen Süßigkeiten hier!“ – schildert er noch wie das Kind, das er ist. Aber wenn er von früher erzählt, wirkt er deutlich älter. „Ich bin Ukrainer. Aber je besser ich Deutsch lerne, desto mehr verlerne ich meine Sprache. Ich will nicht vergessen.“ Er muss schlucken. Tief Luft holen. Dafür denkt er gerne an die Zukunft: Wenn er groß ist, möchte Vova als Übersetzer arbeiten – so beeindruckt war er von den Dolmetschern, die ihn bei Farba begleitet haben. Mittlerweile sei Farba für ihn wie eine Familie, mit der er gemeinsam Geburtstag und Weihnachten feiert.
Der Krieg in der Ukraine ist noch lange nicht vorbei
„Das Entgegenkommen in der Bevölkerung und die Spendenbereitschaft nehmen ab. Wir brauchen aber weiterhin Hilfe“, so Johannes Eibel. "Insofern sind wir sehr dankbar für die Unterstützung der BayWa Stiftung.“ Um den Menschen eine Zukunft zu geben, die lange nicht mehr an eine glauben konnten.
"Jede Feier birgt einen bittersüßen Beigeschmack"
„Doch jede Feier birgt auch einen bittersüßen Beigeschmack“, sagt Julia Salan. Die Mutter von vier Kindern kam 2022 nach Ingolstadt, ihre jüngste ist gerade mal fünf Jahre alt. Eine Explosion um 5 Uhr in der Früh riss die Familie aus dem Schlaf, mitten in der Nacht brachen sie auf. „Meine Familie zuhause lebt unter konstanter Bedrohung. Ich fühle mich in zwei Teile zerrissen.“ Am meisten hilft es ihr, gemeinsam mit anderen Menschen, die ihr Schicksal teilen, Zeit zu verbringen. Mit einigen Frauen singt sie auch in einem ukrainischen Chor, die bei ihren Auftritten traditionelle Lieder singen. Voller Stolz trägt sie dabei ukrainische Kleidung mit traditionellen Stickmustern. Je nach Region in der Ukraine, so erzählt sie, sticken die Frauen ihren Liebsten im übertragenen Sinne eine Botschaft in den Stoff: Liebe, Gesundheit, Reichtum, Sicherheit.